Monique Lhoir (Monika Pallasch) Autorin und Lektorin in Tespe-Bütlingen ... Geschichten, Meer und noch viel mehr
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Die Müllerin von Hornbek

     Marie wischte sich müde über die Stirn. Seitdem ihr Vater, der alte Müller, gestorben war, musste sie die ganze Arbeit alleine machen. Die Pacht betrug zehn Mattenlohn und war somit kaum bezahlbar. Die Arbeit war für eine junge Frau fast nicht zu bewältigen. Die Mühle in Horgenbece hatte Mahlzwang für die Siedlungen Bedenvelde, Schretstaken, Tramme, Wotartze und natürlich Horgenbece. Und kein Ehemann in Sicht, der ihr helfen konnte. Auf die Tagelöhner, die Marie in Spitzen-zeiten einstellte, war meist kein Verlass und betrogen sie. Die Landesherren, denen sie die Pacht schuldete, nahmen sie als Frau nicht ernst und verlangten ständig mehr Mattenlohn.

     „Die Salzfuhrwerke kommen!“, rief Malte, ihr Tagelöhner, zu Marie hinüber und rannte zum Ortseingang.

     „Noch mehr Arbeit“, stöhnte die junge Müllerin. Das bedeutete, dass die Män-ner, die mit den Salzfässern aus Lüneburg kamen und nach Lübeck wollten, hungrig und müde waren. „Mach Feuer!“, rief Marie ihrer noch kindlichen Magd Almudis zu. „Ich hole das Brot.“

     „Hallo, schöne Müllerin“, rief Sindolf und sprang vom ersten Pferdekarren des Trecks. „Wohin denn so eilig?“

     „Ich schätze, dass Ihr und Eure Männer hungrig seid“, erwiderte Marie kess. Sie mochte Sindolf nicht. Kein Weib war vor ihm sicher.

     „Wie wahr du sprichst.“ Sindolf lachte laut. „Und besonders hungrig bin ich auf dich.“ Er wollte nach ihr schnappe, doch Marie war schneller und gewann rasch Ab-stand.

     „Macht Euch keine Mühe“, erklärte Marie, „ich bin bereits vergeben.“ Marie be-eilte sich, in ihre Hütte zu kommen. Eifrig packte sie ein Paar Laibe Brot in ihren gerafften Rock. Sie hoffte, dass die Männer nur in Horgenbece essen und nicht übernachten würden. Barfüßig lief sie hinaus zur Kochstelle. Almudis hatte bereits das Feuer entzündet und einen gusseisernen Kessel bereitgestellt. Sie warf ihrer Herrin einen ängstlichen Blick zu. „Keine Angst“, flüsterte Marie, „ich passe auf dich auf.“ Sie Griff nach einem Trog und rannte zum Brunnen.

     „Kann ich dir behilflich sein?“ Neben ihr stand ein junger Mann, den Marie in Sindolfs Salzdreck noch nie gesehen hatte.

     Erstaunt sah sie auf und wunderte sich über seine Höflichkeit. „Seid Ihr neu im Treck?“, fragte sie.

     „Ich bin Brandolf“, sagte der junge Mann. „Es ist meine erste Reise mit dem Salztreck“, antwortete er. „Ich bin der jüngste Sohn eines Müllers aus Lüneburg. Mein älterer Bruder hat die Mühle nach dem Tod unseres Vaters übernommen. Nun muss ich mir meinen Lebensunterhalt anderweitig verdienen.“

     „Ihr seid Müller?“, fragte Marie interessiert.

   „Nein, nicht Müller, nur der jüngste Sohn eines Müllers.“ Er griff nach dem schweren Wassertrog. „Hat deine Herrschaft keinen Knecht, der die schwere Arbeit erledigen kann?“, fragte er und wies auf das Holzgefäß.

     „Hm…“ Marie fiel im Augenblick keine passende Antwort ein.

   „Brandolf, lass das Geschwätz mit den Weibern und hilf den anderen bei den Karren!“, rief Sindolf herüber.

     „Ich muss dann wohl“, sagte Brandolf, verneigte sich knapp und lief zu den Pferdewagen.

     Marie backte Brotlaibe auf und bereitete gemeinsam mit Almudis eine Suppe. Als die Männer aßen, vermied es Marie, sich in ihrer Nähe aufzuhalten, um Sindolf aus dem Wege zu gehen. Wie sie festgestellt hatten, beabsichtigte der Treck die Nacht bei der Mühle zu verbringen.

 

     Schon früh am nächsten Morgen hörte Marie laute Stimmen. Der Salztreck be-reitete seine Weiterfahrt vor. Sie flocht rasch ihre langen Haare zu einem dicken Zopf, strich sich den Rock glatt und ging hinaus. Sie war froh, dass der Treck die Mühle wieder verließ. Die rauen Männer des Salztrecks waren ihr jedes Mal un-heimlich.

     „Einen guten Morgen wünsche ich dir.“ Brandolf stand plötzlich neben ihr. „Ich hatte gehofft, dass ich dich gestern Abend noch sehen würde“, sagte er.

     „Ich habe viel Arbeit“, wich Marie aus, obwohl sie sich freute, dass sie Brandolf sah. Ihr gefiel der junge Mann. Er war anders als die anderen groben Männer aus Sindolf’s Salztreck.

     „Ja dann…“, stotterte Brandolf, „bis zum nächsten Mal.“ Er kletterte auf den Karren. Der Treck setzte sich in Bewegung.

     „Herrin!“, rief Almudis. „Ihr werdet dringend in der Mühle gebraucht.“

     „Ich komme schon.“

     „Herrin?“, hörte sie Brandolf murmeln. Sie sah seinen verdutzten Gesichtsaus-druck und musste lächeln. Sie hob die Hand, winkte dem Treck nach. Anschließend raffte sie ihren Rock und lief zur Mühle hinüber.

     „Ist Marie die Müllerin von Horgenbece?“, fragte Brandolf seinen Treckführer.

     „Wusstest du das nicht?“ Sindolf lachte lauthals. „Sie gefällt dir wohl? Aber lass die Finger von ihr. Sie ist bereits versprochen. Und wenn nicht, dann gehört sie mir. Du bist nur ein Tagelöhner.“

 

     „Herrin, der Salztreck komm zurück!“, rief Almudis in das Innere der Mühle. „Soll ich Wasser holen?“

     „Nein, hole Brotlaibe. Ich kümmere mich ums Wasser für die Suppe“, sagte Marie. Sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg und hoffte, dass es Sindolf‘s Treck war und Brandolf dabei sein würde. Vorsichtig lugte sie durch das kleine Mühlenfenster. Sofort erkannte sie Brandolf, der gerade vom Kutschbock sprang, die Pferde ausschirrte und versorgte. Dann schlenderte er zum Wiesenplatz, der als Rastplatz diente.

     Marie schnappte sich einen großen Wassertrog und schlenderte zum Brunnen. „Da seid Ihr ja wieder“, sagte sie zu Brandolf. Sie bemühte sich um eine gleichgültige Stimme und hoffte, dass er ihre Aufregung nicht bemerkte.

     „Darf ich?“, fragte Brandolf und griff nach dem Wassertrog. „Diese Arbeit solltet Ihr einem Mann überlassen“, fügte er hinzu.

     „Ich bin diese Arbeit gewöhnt“, erklärte Marie beherrscht. „Aber wenn Ihr mir helfen wollt, so werde ich nicht nein sagen.“ Sie lächelte ihn an, ging neben ihm zum Brunnen und sah zu, wie er Wasser schöpfte. „Bleibt Euer Treck über Nacht?“, wollte Marie weiter wissen.

     „Sindolf hat sich noch nicht geäußert“, meinte Brandolf und trug den Eimer zur Feuerstelle. „In den Kessel damit?“, fragte er.

     Marie nickte. „Ich koche rasch eine Suppe“, erklärte sie und begann die Glut darunter zu schüren. Dann setzte sie sich auf einen Holzstamm nahe dem Feuer, der als Sitzbank diente. Brandolf setzte sich neben sie.

     „Ihr seid hier die Müllerin“, begann er leise. „Es tut mir leid, dass ich Euch letz-tens für eine Magd hielt.“

     „Was macht das für einen Unterschied“, sagte Marie lachend. „Ich arbeite härter als jede Magd und jeder Knecht, auch wenn ich die Herrin bin. Ich kann mir kaum Personal leisten. Die Abgaben sind zu hoch. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als selbst zuzupacken.“

     „Habt Ihr denn keinen Mann?“, fragte Brandolf. „Ihr seid wunderschön und jung.“

     „Vater hat mir keine passende Partie ausgesucht. Er starb zu früh. So werde ich mich selbst darum bemühen müssen.“

     „Habt Ihr schon einen Mann ins Auge gefasst?“, fragte Brandolf weiter.

   „Nein“, gab Marie zu. „Er muss hart arbeiten können und das Handwerk des Müllers verstehen. Davon gibt es hier in der Gegen nicht sehr viele.“ Sie machte eine Pause und betrachtete ihre abgearbeiteten Hände. „So bin ich darauf angewie-sen, mir Tagelöhner zu besorgen, die mir behilflich sind. Aber diese haben meist nicht gerade die Arbeit erfunden.“ Marie seufzte.

     „Ich könnte Euch behilflich sein“, sagte Brandolf mutig.

    „Als Gehilfe?“, fragte Marie erfreut. „Ich könnte Euch schon gut gebrauchen, aber ich kann nicht viel zahlen und außerdem arbeitet Ihr bereits im Salztreck“, fügte sie sachlich hinzu.

     „Ich habe die Arbeit im Treck nur angenommen, weil ich in der Mühle meines Bruders nichts verdienen kann“, erklärte Brandolf. „Außerdem verstehe ich mich mit der neuen Müllerin nicht, die mein Bruder nach dem Tod unseres Vaters ins Haus geholt hat.“

     „Ich könnte es mit Euch probieren“, sagte Marie zögernd. „Ich müsste Euch nicht erst anlernen.“

     „Dann schlagt ein“, sagte Brandolf erleichtert und hielt ihr die Hand hin. Immer noch unentschlossen legte Marie ihre in die seine. „Ich werde gleich mit Sindolf sprechen“, erklärte Brandolf. „Er wird sich ab sofort einen anderen Tagelöhner suchen müssen.“

    „Wollt Ihr denn alsbald hier bleiben?“, fragte Marie einerseits überrumpelt an-dererseits mit einem glückseligen Gefühl.

    „Natürlich“, erklärte Brandolf gutgelaunt. „Womit soll ich beginnen?“, erklärte er lachend und stand auf.

    „Helft mir bei der Suppe für den Treck. Almudis kann das Brot aufschneiden.“ Marie stand ebenfalls auf und ging zur Feuerstelle. Nachdenklich schaute sie Brandolf zu, wie er die Hirse in das Wasser einrieseln ließ. Er musste ihre Blicke bemerkt haben, denn auch er sah sie an. Ein verträumtes Lächeln ging über sein Gesicht.

     ‚Ja‘, dachte Marie, ‚es war die richtige Entscheidung.' Und es würde wahr-scheinlich gar nicht so lange dauern, bis ein neuer Müller die Mühle in Horgenbece betreiben und – wer weiß das schon – auf der Wiese in der Sonne glückliche Kinder tollen würden. Sie lächelte zurück.

 

(c) Monique Lhoir