Nun ist es langsam soweit. Wir machen Busreisen, statt mit dem Auto auf eigene Faust loszufahren. Aber ich bin der Überzeu-gung, dass es in unserem Alter angenehmer ist, sich fahren zu lassen. Sitzt man selbst hinter dem Steuer, bekommt man weniger von der Umgebung und den Örtlichkeiten mit, weil man auf den Verkehr achten muss. Und das wird in letzter Zeit immer unangenehmer.
Somit entschloss ich mich zuerst einmal für eine Reise nach Schwerin.
Gut, wir kennen Schwerin, waren bereits einige Male dort. Die Stadt liegt nicht weit von Hamburg entfernt. Unsere Stadt-führerin meinte gar, dass Schwerin ein Vorort von Hamburg sei.
Unser erstes Abenteuer bestanden wir, als wir das erste Mal mit öffentlichen Ver-kehrsmitteln von Bütlingen nach Hamburg-Bergedorf fuhren. Zu Jahresanfang wa-ren wir von Geesthacht in das Großdorf Bütlingen gezogen. Bitte nicht fragen, wo Bütlingen ist. Das fragt uns jeder, wenn wir erzählen: „Wir wohnen in Bütlingen.“ Bütlingen ist ein Ortsteil von Tespe und Tespe befindet sich in Niedersachsen an der Elbe – gleich auf der anderen Seite von Geesthacht in Schleswig-Holstein.
So mühte ich mich durch den umfangreichen Fahrplan von Bütlingen nach Bahn-hof Hamburg-Bergedorf. Gut, die Mühen hielten sich in Grenzen. An einem Wochen-tag fährt der Bus nur zehnmal, am Samstag ab halb zehn ganze viermal, sonntags überhaupt nicht. Da haben die Bütlinger gefälligst zu Hause zu bleiben und den Sonntagsbraten zu kochen. Ist eben ein Dorf.
Einsichtigerweise haben sie es jetzt geändert. Der Bus fährt nun auch sonntags ab viertel vor zehn alle vier Stunden. Das hilft nicht wirklich viel weiter, wenn man einen Tagesausflug machen möchte, da Ausflüge recht früh losgehen.
Zum Glück fiel der Nikolaustag auf einen Donnerstag, sodass wir den Bus nutzen konnten, der um 8:19 Uhr nach Bergedorf fuhr. Die Bushaltestelle liegt nicht weit von unserem Haus entfernt, trotzdem gingen wir frühzeitig los. Anfangs befand sich niemand an der Haltestelle. Ich war verunsichert, ob ich den Fahrplan richtig gelesen hätte. Langsam kamen doch ein paar Leute, insbesondere Schulkinder, und am Ende hielt der Bus in Bütlingen. Der brachte uns pünktlich nach Hamburg-Bergedorf, obwohl ich skeptisch war, da auf der Elbbrücke ständig Stau herrschte und die Brücke einen schlechten Ruf bezüglich der Verkehrslage genoss. Es klappte. Vielleicht wollten sich Bus sowie Brücke von ihrer guten Seite zeigen, weil es für uns Premiere war.
Rechtzeitig erreichten wir in Berge-dorf den Bahnhof. Problemlos fanden wir den Bus-Stop der Reisegesell-schaft Reisering. Der Bus kam und ab ging es nach Schwerin.
Eine Busreise ist in der Tat ein Abenteuer. Besonders dann, wenn man es gewohnt ist, für sich allein und individuell im eigenen Auto zu reisen. Wir hatten angenehme Plätze, direkt an der Mitteltür, sodass vor uns niemand saß. Bemerken muss ich, dass der Bus ausreichend Beinfreiheit bot, um bequem zu sitzen.
In der Reihe hinter uns saßen zwei ältere Damen, offenbar Freundinnen. Sie plauderten ununterbrochen über Gott, die Welt und ihre Nachbarn. Wir wunderten uns, dass man über Belangloses so viel berichten konnte. Ich kann mir vorstellen, dass Busfahrer bei der Menge Senioren keinen leichten Job haben.
Wohltuend war, dass wir auf der relativ kurzen Strecke genügend Zeit fanden, zwischendurch eine WC-Pause einzulegen. Immerhin waren wir bereits einige Zeit mit dem Bütlinger Abenteuerbus unterwegs.
Anschließend ging es reibungslos weiter, sodass wir pünktlich um halb zwölf im Hotel & Restaurant Rabennest am Schweriner See ankamen. Laut Ausschreibung erwartete uns ein Entenbraten-Essen am Nikolaustag. Die Reisegäste stürmten den Speisesaal. Für uns war diese Essenzeit etwas ungewöhnlich. Meistens frühstückten wir gegen neun und nahmen folglich erst am frühen Abend eine warme Mahlzeit zu uns.
Na ja, besonders freundlich war der Empfang im Rabennest nicht. Für die Busreisenden waren lange Tische mit zwölf Personen eingedeckt. Die Stühle standen eng aneinander, sodass die Gäste kaum Armfreiheit nach links oder rechts hatten. Wollte sich ein Paar an einen Vierertisch setzen, weil keine zusammenhängenden Plätze frei waren, wurde es darauf aufmerksam gemacht, dass für die Busgruppe reserviert sei. Der Ton klang DDR-mäßig militärisch, obwohl die Wiedervereinigung bereits im November 1989 stattfand. Einen solchen Ton hatten wir das letzte Mal bei Dienstreisen vor dreißig Jahren gehört. Verwunderlich, denn das Bedienungsper-sonal erschien uns jünger, zwar professionell, aber ein Lächeln war Mangelware. Allerdings muss ich bemerken, dass die meisten alleinreisenden Busgäste undiszi-pliniert zwischen sich und dem nächsten Gast einen Stuhl freiließen. Paare, ge-schweige eine Vierergruppe, hatten kaum eine Change. Ich glaube nicht, dass wir – falls wir Schwerin für längere Zeit besuchen wollen – das Hotel Rabennest frequentieren werden. Doch mag die Freundlichkeit bei Einzelreisenden eine andere sein als bei Busgästen.
Entenbraten-Essen am Nikolaustag. Okay. Die Tische waren weihnachtlich geschmackvoll ge-deckt. Nach der Getränkebestellung wurde der Entenbraten serviert. Er bestand aus einer relativ mickrigen Keule, Rotkohl, einem verwaschenen oder verkochten Knödel und ein paar Kartoffeln. Dieser Anblick leitete mich sofort dazu an, nach dem Nachhausekommen für das Weihnachtsfest bei uns auf dem Markt eine Ente zu bestellen. Ich wollte einen vernünftigen, frischen knusprigen En-tenbraten. Dieses Keulchen war vorbereitet und aufgewärmt, von knusprig keine Spur. Dafür machte es sich noch am späten Abend in meinem Magen bemerkbar. Der Rotkohl war lecker, die Knödel verunglückt. Bei Kartoffeln kann man in der Re-gel nicht viel falsch machen.
Das Zimt-Parfait war gut, die Birnen aus der Dose. Nun ja, war ja nur ein Happen zwischendurch, denn vorsichtshalber hatte ich vorgekocht, sodass wir das Entenbraten-Essen zum Nikolaustag gelassen hinnahmen.
Um Viertel nach Eins fuhren wir weiter nach Schwerin. Nachdem sich der Busfahrer in der Stadt verfahren hatte – wäre uns ebenfalls passiert und war nicht nur amüsant, sondern zusätzlich informativ – nahmen wir die Stadt-führerin an Bord.
Von den Stadtführerinnen waren wir begeis-tert. Mit großer Liebe präsentierten und erklär-ten sie Schwerin. Auf der Rundtour mit dem Bus erfuhren wir innerhalb kurzer Zeit viel über die Stadt. Ich muss sagen, es lohnt sich, Schwerin mal ausführlicher zu besichtigen bzw. ein paar Tage zu besuchen.
Auch die anschließende Führung zu Fuß durch die Altstadt überzeugte uns. Vom Haltepunkt weiße Flotte liefen wir ein Stück die Werderstraße entlang. Auf dem Platz gegenüber dem Schloss hielten wir. Umgeben waren wir vom mecklenbur-gischen Staatstheater und dem staatlichen Museum, beides imposante Gebäude.
Bevor wir in die Puschkinstraße abbogen, lag auf der rechten Seite das Cafe Prag. Es befin-det sich einem historischen Stadthaus und ist das traditionsreichste Restaurant und Cafe in Schwerin. Bei einem Besuch der Stadt sollte man unbedingt hier eine genussvolle Pause einlegen.
Wir schlenderten ein kurzes Stück die Puschkinstraße hinunter und bogen links in eine kleine Gasse ab, die Enge Straße hieß. Die Gasse war in der Tat eng, aber so romantisch, dass man sicherlich diese nicht übersehen und sogar in eines der niedlichen Kneipen einkehren sollte.
An der Ecke zur Schusterstraße befindet sich das Weinhaus Uhle. Es ist eines der ältesten Weinhäuser mit einem tollen Angebot. Genau gegenüber liegt der Gasthof und Restaurant Zur guten Quelle. Der wohl bekannteste Gast seiner Zeit war kein geringerer als der Heimatdichter Fritz Reuter. Wie uns die Stadtführerin berichtete, befand sich Fritz Reuter zur Bekämpfung seiner Alkohol-sucht in Schwerin und wohnte im Hotel Zur guten Quelle. Dass das Weinhaus Uhle auf der anderen Gassenseite lag, erleichterte ihm den Aufenthalt erheblich.
Weiter gingen wir eine kleine Gasse hinunter bis zur Ecke 3. Enge Straße Nr. 15 und landeten an einem winzigen Haus. Die Decken wären so niedrig, dass man den Kopf einziehen muss, erklärte die Stadtführerin.
Zurück zur Schusterstraße liefen wir bis zum Marktplatz. Leider war der Dom geschlossen, sodass eine Innenbesichtigung nicht möglich war. Dafür hielten wir kurz am Löwendenkmal. Eine Besichtigung ist in der Tat lohnenswert.
Begeistert hat uns Das Kontor in der Puschkinstraße. Das Haus ist eines der ältesten Fachwerkhäuser in Schwerins. Hier ist ein Kunsthandwerksbetrieb unterge-bracht. In der Mitte der Handelsdiele befindet sich ein alter Brunnenschacht, der mit einer Glasplatte abgedeckt ist, sodass man in die Tiefe schauen kann. Beein-druckend.
Auf alle Fälle haben uns die individuellen kleinen Modeläden und Handwerks-betriebe, angefangen von süßen Fachwerkhäusern bis hin zu pompösen Gebäuden, gut gefallen. Hier lohnt es sich, eine längere Zeit zu verbringen. Nicht nur, um die Baukunst zu bewundern, sondern in den liebevoll hergerichteten Handwerksbetrie-ben herumzustöbern. Das wollen wir jedenfalls bei einem mehrtägigen Aufenthalt machen.
Wenn wir den Entenbraten am Nikolaustag weglassen, war es für uns ein ge-lungener Ausflug, um mehr über die Stadt Schwerin zu erfahren. Den Enten-braten holen wir zu Hause nach.
Bemerken möchte ich, dass wir zum Abschluss der Besichtigung ins Cafe Rothe einkehrten. Hier war das Personal total freundlich. Die Bedienung erinnerte an eine lustige Marketenderin, gutgelaunt und für jeden Gast ein scherzhaftes Wort auf den Lippen. Der Kuchen war ebenfalls nicht zu verachten. Das Cafe liegt direkt am Marktplatz. Man kann vom Löwendenkmal Abschied nehmen und sich hier einen leckeren Kaffee gönnen.
Vielleicht sollte Reisering den Titel ändern, denn das Highlight war nicht das Entenbraten-Essen am Nikolaustag in Schwerin, sondern die Stadt selbst. Dem Restaurant Rabennest würde ich empfehlen, über Freundlichkeit insbesondere ge-genüber Busreisenden nachzudenken. Es kommt nicht selten vor, dass eine Tages-reise gebucht wird, um später – bei Gefallen – einen längeren Aufenthalt zu planen. Wir handhaben das häufig so. Allerdings werden wir es aus oben genanntem Grunde vorziehen, nicht im Rabennest zu übernachten, sondern in einem dieser kleinen Stadthotels.