Monique Lhoir (Monika Pallasch) Autorin in Tespe-Bütlingen Romane, Geschichten... und noch mehr
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Amsel Dieter's Story

Auf unserem Balkon befindet sich ein Vogelhäus-chen mit Schrägdach aus Birkenhölzern. Um den 20./21. April herum bemerkten wir, dass sich ein Amselmännchen für das Dach des Vogelhäuschens interessierte, es öfters anflog und beäugte. Ab und zu pickte es in die weiße Rinde und entfernte diese. Am nächsten Tag flog auch das Weibchen auf das Dach. Sie war wohl damit einverstanden, hier ein Nest zu bauen. Fleißig schleppte sie trockene Stöckchen, Gras, Blätter, Moos sowie dünnes Plastikmaterial heran.

Die Krux war, dass beim Versuch, hier ein Nest zu bauen, das Material immer wieder von der Dachschräge herunterrutschte beziehungsweise heruntergefegt wurde, wenn die Amsel wieder wegflog.

Nach zwei weiteren Tagen, nämlich am 24. April – wir wollten zu einem Wochenendseminar nach Springe bei Hannover fahren – begann Monika mor-gens längere Nägel in das Dach zu hämmern, um eine Barriere gegen das Abrutschen des Nestmate-rials zu bauen und erklärte: „Das kann ich nicht mehr mit ansehen. Frau Amsel müht und müht sich, weil ihr Männchen zu blöd ist, einen vernünfti-gen Nestplatz zu finden. Architekt kann der nicht sein.“ Also holte ich aus dem Keller Hartfaserleis-ten, ungefähr zehn Zentimeter hoch, um diese gegen die Nägel zu legen. Nun rutschte das Material nicht mehr hinunter. Dadurch verspätete sich unsere Abfahrt, sodass wir erst auf dem letzten Drücker zum Seminarbeginn in Springe ankamen. 

Wir hofften übers Wochenende, dass die Amseln nunmehr ihr Heim einrichten konnten. Als wir am Sonntagabend, den 26. April, zurückkamen, siehe da, das Nest war fertig. Wir fanden es künstlerisch gelungen. Und das Amselweibchen, wir nannten es Frieda und ihren Mann Helmut, saß im Nest und fühlte sich sichtlich wohl.

Am Mittwoch, den 29. April, lag das erste grünlich gefärbte Ei im Nest, am Donnerstag das zweite, Freitag folgte das dritte und Samstag das vierte. Fleißig brütete Frieda die Eier aus, während sich Helmut erst mal nicht mehr blicken ließ. Ich kon-trollierte jeden Tag das Gelege, während Monika mich ausschimpfte, ich solle die Amselruhe nicht stören. Der Balkon war tabu.

Am Donnerstag, den 14. Mai schlüpfte das erste Küken. Monika hat es gleich fotografiert. Es guckte gerade mal halb aus dem Ei. Nackt, kaum Flaum am Körper und im Verhältnis zu seinem Körper mit viel zu großen geschlossenen Augen sah es nicht gerade wie ein Schönling aus. Das zweite und dritte Küken folgten am nächsten Tag. Wir nann-ten das erste Küken Dieter, die zwei anderen Dietlinde und Hans. Das vierte sollte Heidegunde heißen, doch es wurde gar nicht ausgebrütet.

Am Sonntag, den 17 Mai sahen wir, dass Helmut sich offenbar an der Fütterung beteiligte, denn es war ein reges Kommen und Gehen. Frieda hatte ihm wohl den Kopf gewaschen, damit er sich end-lich auch um seine Brut kümmert und nicht nur den Ascheimer runterbringt.

Am nächsten Tag wurde Helmut allerdings nicht mehr gesichtet. Entweder hatte er den Schnabel voll oder – was wahrscheinlicher ist – er wurde von einem Fahrzeug erwischt oder Elstern, Krähen und Katze haben ihm den Garaus gemacht.

Für Frieda bedeutete dies nun doppelte Kraftanstrengung Futter für die drei Küken heranzuschaffen, sie zu wärmen und eventuell auch noch das vierte Ei auszu-brüten.

Es machte uns viel Spaß zuzusehen, wie der Nach-wuchs größer und größer wurde, wie aus dem Flaum langsam ein Federkleid wurde. Wir fühlten uns regelrecht verantwortlich und übernahmen die Wache, wenn Frieda Futter suchte.

Am Morgen des 19. Mai sagte Monique: „Wieso hüpft Frieda auf dem Boden herum? Sie scheint etwas zu suchen.“ Und richtig: Es fehlte ein Küken. Wahrscheinlich hatten am frühen Morgen Nesträu-ber Attacke geritten, während Frieda Futter be-sorgte. Wir waren richtig traurig.

Von Donnerstag, 21. Mai, bis Samstag, 23. Mai, hatten wir einen vorpfingstlichen Wochenendausflug geplant. Wir baten Sebastian, Monikas Sohn, den Briefkasten zu lee-ren und nach unseren Untermietern zu schauen. Am Frei-tag mailte uns Sebastian und schickte uns ein Foto: Es war nur noch ein Küken im Nest. Jetzt waren wir noch trauriger und konnten unseren Ausflug nicht wirklich richtig genießen. Aber das ist wohl die Natur: Fressen und gefressen werden. Gleich am Samstagmorgen fuhren wir früh zurück, um das Schlimmste zu verhindern. Das eine Küken war noch da und Frieda fütterte es. Wir hofften, dass nun alles gut gehen würde und achteten auf das Nest, wenn Frieda unterwegs war.

Gegen Mittag des 24. Mai, Pfingstsonntag, fiel uns auf, dass Frieda längere Zeit nicht mehr zur Fütte-rung aufgetaucht war und das Küken sich erst durch leiseres Piepsen, dann immer lauter werden-des Geschrei bemerkbar machte. „Frieda wird doch wohl nichts passiert sein?“, fragten wir uns und be-kamen Magendrücken. Frieda tauchte auch nach drei Stunden nicht wieder auf. Monika recherchierte im Internet, mit was man kleine Amselkinder füt-tern sollte. Es gab reichliche Vorschläge – über Re-genwürmer, Mücken, Grillen, Obst und gekochtem Ei bis hin zu Katzenfutter. Das alles war nur noch verwirrender. So erreichte Monika die Wildvogelhilfe, die uns zu Beofutter, Heimchen und notfalls Regenwürmern und etwas Erdbeere riet. Aber woher nehmen und nicht stehlen, denn es war Pfingstsonntag und die Geschäfte erst am Dienstag wieder geöffnet. Auf alle Fälle sollten wir am Abend das Küken bergen und warmhalten.

Also passten wir weiterhin auf das Nest auf, damit die Nesträuber nicht durch das Geschrei angelockt werden. Monika versuchte das Geesthachter und Hamburger Tierheim anzurufen. Niemand nahm ab. Dann versuchte sie es beim NaBu in Geest-hacht, aber auch hier gab es keinen Rat. Nun bastelte Monika ein Nestchen in einem Tuppertopf, legte Wolllappen und Küchenpapier als Windel hinein und bettete Dieter am Abend um. Frieda kam nicht mehr.

Noch am selben Abend fuhr unser Nachbar in sei-nen Garten und besorgte Regenwürmer aus seinem Komposthaufen. Jedes Mal, wenn Dieter schrie, ga-ben wir ihm mit einer Pinzette einen kleinen Wurm, den Monika vorher ordentlich ausschlug, nicht, weil sie es wohl so machen sollte, sondern eher weil sie Regenwürmer ekelig fand und den Dreck abschla-gen wollte. Ab und zu matschte sie eine bisschen Erdbeere und fütterte zu. Wenn Dieter schiss, machte sie es sofort wieder weg. Anschließend hielten wir die Hand über das Küken um es zu wärmen. Am späten Abend war endlich Ruhe.

Pfingstmontag machte sich das Küken gegen fünf Uhr bemerkbar. Monika fütterte es ein bisschen, sodass es erst einmal ruhig gestellt war. Dann versuchten wir, nochmals die Tierheime anzurufen und für Dieter eine Unterbringungsmöglichkeit zu finden – und vor allem richtiges Futter. Denn Monika war der Meinung: „Wir können keine Amsel in der Wohnung großziehen. Das ist ein Wildvogel und dort gehört er auch hin. Das wird nie was mit uns und Dieter. Das können wir ihm nicht antun.“ Sie telefonierte weiter. Aber versucht mal, über die Pfingstfeiertage jemand zu erreichen. Endlich, gegen neun Uhr, erreichte sie einen Tierpfleger aus dem Wildpark Eekholt. Er erklärte, dass Eekholt nur Greifvögel aufnahm, aber er gab uns sehr hilfsbereit und verständnisvoll die Telefonnummer von der Wildtierhilfe Fiel, die Monika auch sofort anrief.

„Bringen Sie die Amsel ruhig vorbei“, sagte Herr Fußbahn, „aber nicht mehr füttern. Damit bringen sie den Vogel um.“

Wir waren enorm erleichtert. Sofort machten wir uns fertig und Dieter ausgehfein, packten für uns ein paar Brote ein – keine Zeit zum Frühstücken – und machten uns auf den Weg nach Fiel.

Wenn ihr fragt: Wo liegt Fiel?, so würde ich antworten: „Am Ende der Welt“, zumindest von Geesthacht aus gesehen. Fiel liegt kurz vor Heide im Dithmarschen.

Nach gut zwei Stunden hatten wir unser Ziel erreicht und konnten Dieter erleichtert in fachgerechte Obhut geben.

 

Auf der Rückfahrt fehlte uns das Gepiepe von Dieter doch sehr und unsere Stim-mung war gedrückt. Auch noch einige Tage später, wenn wir die leere Stelle sahen, an der vorher das Amselnest war.

 

Am Samstag, den 30. Mai erhielten wir von Dirk Fußbahn von der Wildtierhilfe Fiel e.V. die Nachricht: „Hallo Frau Pallasch, Dieter geht es gut!!!.....eigentlich weiß ich nicht mehr wer Dieter ist ;) da wir EINIGE Amselpfleglinge haben und die "Jungs" und "Mädels" sich gemischt haben! ;) Da aber keines der Küken gestorben ist können wir sicher sein, das DIETER noch wächst und gedeiht! Der Trupp frisst schon die bereitgestellten Mehlwürmer eigenständig!!!

Also ALLES im grünen Bereich!“

 

Nun hoffen wir, dass Dieter doch noch ein Leben als glücklicher Amselhahn in freier Natur führen kann.

 

(c) Dietmar Pallasch im Auftrag von Amsel Dieter, der noch nicht schreiben kann.

 

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Christine Konstantinidis

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