Vor über dreißig Jahren steckte ich in der schlimmsten Krise meines Lebens. Wie aus dem Nichts bekam ich von einer Sekunde zur anderen in der U-Bahn meine erste Panikattacke. Diese Attacken wiederholten sich ab diesem Zeitpunkt mehrmals täglich, sodass ich nicht mehr in der Lage war, meinen Beruf auszuüben, meine alltäglichen Arbeiten zu verrichten und auch an keinem sozialen Leben mehr teilnehmen konnte.
Hinzu kam die Angst, als alleinerziehende Mutter unter diesen Umständen zukünftig nicht mehr in der Lage zu sein, den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Ständig kreisten meine Gedanken darum, dass ich trotz mehrmaliger fachärztlicher Untersuchungen an einer nichterkannten Herzkrankheit litt. Was würde dann aus meinem Sohn? Fast stündlich kontrollierte ich meinen Herzschlag aus Angst, ich könnte jeden Moment einfach umfallen und sterben. Ich vertraute weder den Fachärzten noch meinem Körper. Und das Schlimmste war, ich fühlte mich völlig allein, hilflos und unverstanden diesen Gefühlen ausgesetzt. Neben diesen Ängsten entwickelte ich Paniken vor dem Autofahren, vor dem Fliegen, vor öffentlichen Verkehrsmitteln, vor überfüllten Einkaufszentren, vor Warteschlangen, vor engen Räumen oder auch darüber, was die anderen Menschen über mich denken oder sagen würden. Die Angstpalette war unendlich, ständig begleitet von schlimmen Panikattacken. Ich funktionierte also nicht mehr so, wie ich funktionieren sollte. Ich funktionierte gar nicht mehr. ...
Bis zu dem Zeitpunkt, als ich meine Therapie bei einer hervorragenden Psychologin begann und entschlossen bis zum Schluss und weit darüber hinaus durchzog.
Heute leide ich nicht mehr unter meinen generalisierten Angststörungen und schon mal gar nicht mehr unter Panikattacken. Ich schaffte es, sie gegen Gelassenheit und Vertrauen zu meinem Körper und Kontrolle über mein eigenes Leben auszutauschen. Schon während der Therapie konnte ich langsam wieder meinem Beruf nachgehen und sämtliche Alltagsarbeiten erledigen.
Nach meinem betriebswirtschaftlichen Studium und Controlling absolvierte ich kurze Zeit nach meiner Therapie ein weiteres Studium der Psychologie, spezialisierte mich auf Stress, Depressionen und Burnout und machte einen zusätzlichen Abschluss zur Entspannungstherapeutin. Anfangs war ich wohl eine meiner besten Probanden. Heute weiß ich, was ich selbst tun kann, um keine Panikattacken zu bekommen. Vorteil war, dass ich dieses Zusatzstudium und die weiterführenden Qualifikationen als leitende Mitarbeiterin in mein Berufsumfeld einbauen konnte, denn ich erfuhr, dass es gar nicht so selten ist, dass Mitarbeiter plötzlich unter Panikattacken, Depressionen und Burnout litten – ausgelöst durch übermäßigen beruflichen und privaten Stress sowie unserer heutigen Schnelllebigkeit. Hier galt es, unnötigen Stress in der Firma abzubauen, denn zufriedene und gesunde Mitarbeiter sind das Kapital jeder Unternehmung.
Natürlich habe ich heute noch Ängste. Dieses wichtige Gefühl gehört zum Leben dazu und schützt uns vor tatsächlichen Gefahren. Deshalb gebe ich diesem Gefühl soviel Raum und Zeit, wie es benötigt. Aber danach entlasse ich diese Gefühle auch wieder mit der Gewissheit, dass sie meine Freunde sind und mir und meinem Körper nur Gutes tun oder mich warnen wollen.
Gewiss besiegt man Angst nicht durch ein Psychologiestudium oder durch das Anwenden von Entspannungs- oder Notfalltechniken zur Beruhigung. Das sind lediglich hilfreiche Begleiter, die man auch ohne Panikattacken anwenden kann. Zum Beispiel einfach nur, um sich etwas Gutes zu tun. Sie dienen dem Stressabbau und somit auch als Vorbeugung von stressbedingten Panikattacken.
Den Entwurf meines Entwicklungsromans hatte ich bereits vor fünfundzwanzig Jahren nach meinem damals während der Therapie geführten Tagebuches geschrieben. Das Führen eines Tagebuches war ein wichtiger Bestandteil meiner Therapie, weil ich darin nicht nur die Auslöser für die Attacken festhielt, sondern auch Fragen, die mir meine Therapeutin stellte, still und heimlich für mich beantworten konnte. Einige Zeit später, als ich meine Aufzeichnungen noch einmal las, hinterfragte ich viele meiner damaligen Gedanken und entwickelte daraus eine gesündere Einstellung.
Angst beginnt im Kopf. Bereits in meiner ersten Therapiestunde stellte mir meine Therapeutin die Frage, was ich empfinde, wenn ich mir konzentriert vorstelle, jetzt in eine Zitrone zu beißen. Na? Sauer. Ich verzog den Mund. So ist es mit der Angst vor der Angst. Seitdem liebe ich Zitronen. Allein dieses kleine Spiel brachte mich dazu, mit dem Umdenken zu beginnen.
In meiner Geschichte in Romanform habe ich die ersten fünfundzwanzig Therapiestunden anhand meines Tagebuches recherchiert. Darin ist der schleichende Aufbau des Stresspegels zu erkennen, der schließlich in einer ersten heftigen Panikattacke mündete. Weitere folgten. Wenn ich heute darüber nachdenke, gab es bereits während dieser Zeit viele Anzeichen, die ich nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte. Heute weiß ich, dass ich zum Beispiel bei körperlichen Reaktionen hinsehen und hinhören soll. Ebenfalls weiß ich, wann ich ein klares Nein setzen muss, um mich selbst zu schützen.
In diesem Buch habe ich meine damaligen Gedanken, Gefühle und die Begebenheiten beschrieben. In den einzelnen Therapiestunden gab mir die Therapeutin Notfalltipps, um kurzfristig gegen die Attacken vorzugehen, aber meistens entließ sie mich mit Fragestellungen, sodass ich gezwungen war, mich mit dem einen oder anderen Thema auseinanderzusetzen. Erst später stellte ich fest, dass genau diese Vorgehensweise nach und nach Blockaden und falsche Glaubenssätze löste, die ursprünglich zu den Attacken beigetragen hatten. Diese Methode zeigte mir neue, geänderte Verhaltensweisen. Dadurch lernte ich mich besser kennen, handelte und argumentierte bewusster im Hier und Jetzt.
In dem Roman beschreibe ich allerdings nur meine persönlichen Ursachen, wie ich zu Panikattacken kam. Tatsächlich gibt es unglaublich viele Gründe, weshalb Angst- und Panikstörungen entstehen können. Deshalb ist es stets wichtig, Ärzte zu konsultieren und auf Anraten eine Psychotherapie zu machen. Die Krankenkassen übernehmen die gesamten Behandlungskosten, sofern es sich um eine psychische Störung mit Krankheitswert handelt. Hilfreich und therapiebegleitend sind Entspannungstechniken, die man in vielen Gruppen erlernen kann. Das hat auch den Vorteil, wieder unter Menschen zu kommen und Berührungsängste zu verlieren.
Zusätzlich gibt es enorm viele Ratgeber auf dem Büchermarkt, aber leider auch viele schwarze Schafe, die zum Beispiel online-Seminare für teures Geld anbieten und damit die Verzweiflung der betroffenen Personen für sich ausnutzen. Bitte immer prüfen und mit dem behandelnden Arzt absprechen, bevor man unnötig viel Geld ausgibt. Welche Methode die Richtige ist, findet man am besten selbst heraus. Einfach probieren. Das ist schon ein erster Schritt, um aus dem Angstkreislauf herauszukommen. Wenn man merkt, dass einem die ein oder andere Technik guttut, so können die Übungen auch angewendet werden, um sich etwas Gutes zu leisten, denn Stressabbau ist immer gut.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil auf dem Weg zur Heilung ist, alte Freundschaften wieder aufzufrischen und neue zu schließen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich mich eine Zeitlang, als die Panikattacken ihren Höhepunkt erreichten, vollkommen abgeschottet habe, aber auch, dass sich viele vermeintliche Freunde zurückzogen. Meine Therapeutin ermunterte mich immer wieder, meine Hobbys wieder zu aktivieren. In erster Linie war dies mein aktives Tennisspiel, was ich allerdings später aufgrund der Rückenverletzung nur noch hobbymäßig betreiben konnte, aber auch wieder mit dem kreativen Schreiben zu beginnen. Hobbys, sei es kreatives Schreiben, Malen, ein Musikinstrument spielen oder andere kreative Tätigkeiten tragen enorm zum Gesundungsprozess bei. Das gilt zum Beispiel nicht nur bei Panikattacken, sondern auch bei Depressionen oder gar einem Burnout. Das Wiedererlangen der Freude an Kreativität ist ungeheuer bereichernd und kann durch Achtsamkeitstraining positiv unterstützt werden.
Angst- und Panikattacken können unvorhergesehen bei jedem Menschen plötzlich auftreten. Um diese Attacken durchzuhalten und danach wieder aufzustehen, muss man ungeheuer viel Kraft aufwenden. Die meisten Menschen können sich das gar nicht vorstellen. Deshalb sind Panikattacken keine Schwäche, sondern eine enorme Stärke. Das sollte sich jeder bewusst machen, der von Panikattacken betroffen ist.
Doch wenn man diese extreme Phase durchgestanden hat, beginnt oftmals ein ganz anderes, viel bewussteres Leben. Ein Leben in Freiheit und Ungezwungenheit.
Wie lange eine Heilung dauert, kann man im Vorfeld nicht sagen. Anfangs glaubte ich überhaupt nicht an Heilung. Aber bereits während der Therapie munterte mich meine Therapeutin immer wieder zu kleinen Schritten auf. Nach fünfzehn Therapiestunden war ich bereits wieder in der Lage, in ein Einkaufszentrum zu gehen, Auto zu fahren – und was noch wichtiger war – wieder zu arbeiten.
Dieser Prozess verlief ebenso schleichend, wie der Prozess zur ersten heftigen Panikattacke, denn dazu gab es die aufgeschriebene Vorgeschichte, die ich langsam mit Hilfe meiner Therapeutin aufarbeitete. Vor allen Dingen war das Verstehen von Zusammenhängen danach nützlich, das mir half, mehr an mich und weniger an andere zu denken.
Es gab auch Rückschläge, die mich mutlos und mit der Angst zurückließen, dass es wieder von vorne losgeht. Doch meist handelte es sich immer um eine Angst vor der Angst. Aber in der Zwischenzeit hatte ich gelernt, mit aufkommenden Panikattacken umzugehen. Sie beherrschten nicht mehr mich, sondern ich beherrschte sie.
Meine Aufzeichnungen aus dem Tagebuch halfen mir enorm, denn die Auslöser waren immer die Gleichen – und die galt es möglichst zu minimieren oder gänzlich zu beseitigen. In meinem Fall waren das falsche Glaubenssätze aus meiner Kindheit, die zu übersteigertem Verantwortungsbewusstsein, ausgeprägtem Helfersyndrom und somit zur übermäßigen Opferbereitschaft führten. Meine Therapeutin drückte es so aus: „Ziehen Sie sich Ihre eigenen Schuhe an, nicht die der anderen“ oder auch aus dem Film Dirty Dancing: „Das ist mein Tanzbereich und das ist deiner.“ Was allerdings nicht heißt, dass ich nach der Therapie weniger verantwortungsbewusst handelte, nur bewusster.
Ihre
Monique Lhoir