Im ersten Teil des Romans ging ich gezielt auf die Therapie meiner Panikattacken und deren Auslöser ein. Anhand meines vor 30 Jahren geführten Tagebuches recherchierte ich meine fünfundzwanzig Therapiestunden bei einer hervorragenden Psychologin. Daraus war der schleichende Aufbau des Stresspegels zu erkennen, der schließlich in meine erste heftige Panikattacke mündete. Viele weitere folgten.
Bereits während der therapeutischen Aufarbeitung meiner Vergangenheit gab es viele Anzeichen der Gründe für meine Attacken, die ich nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte. Während der Therapie, aber besonders am Ende, stellte die Psychologin fest, dass weniger ich Hilfe benötigte, sondern eher mein Lebensgefährte. Mehr und mehr verdichtete sich die Annahme, dass zwar eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vorhanden war, aber er besonders unter Borderline in Kombination mit Autophobie litt, was hätte dringend behandelt werden müssen. Zusätzlich kam sein Alkoholproblem hinzu, das die Kontrolle seines impulsiven Verhaltens erschwerte und die Bereitschaft zur Aggressivität verstärkte, was letztlich dazu führte, dass er mich wiederholt physisch als auch psychisch angriff.
Deshalb beschäftigte ich mich im zweiten Teil zwar mit Panikattacken, aber weitaus mehr mit häuslicher Gewalt in der Partnerschaft, hier aufgrund einer Borderline-Persönlichkeitsstörung in Kombination mit Autophobie. Zusätzlich bediente ich mich realer Schicksale aus einer psychisch betreuten Selbsthilfegruppe und arbeitete sie in den Roman ein, um zu zeigen, wohin häusliche Gewalt führen kann.
In meinem Fall entwickelte ich eine Co-Abhängigkeit, unter anderem wegen falscher Glaubenssätze aus der Kindheit, die zu übersteigertem Verantwortungsbewusstsein, einem ausgeprägten Helfersyndrom und somit zur übermäßigen Opferbereitschaft führten: Ich stellte die Bedürfnisse meines Partners über meine eigenen, war damit überfordert, was sich letztlich in Panikattacken bemerkbar machte.
Übersteigertes Verantwortungsbewusstsein hört sich im ersten Moment für Außenstehende supertoll an, ist aber auf Dauer schädlich für beide Partner. Viele Experten übertragen heute den Begriff Co-Abhängigkeit, der früher für Angehörige von alkoholabhängigen Menschen angewendet wurde, auch auf psychische Erkrankungen wie narzisstische Persönlichkeitsstörungen, Borderline, Depressionen, etc. Psychologisch wird Co-Abhängigkeit neutral verstanden, denn die nahestehenden Menschen möchten im Prinzip nur helfen. Häufig benötigen sie selbst Hilfe, insbesondere um zu lernen, sich abzugrenzen und auf die eigenen Bedürfnisse zu achten, damit sie nicht ernstlichen physischen und psychischen Schaden nehmen.
Zu Beginn solcher Beziehungen glauben viele Partner von Betroffenen, dass es sich beim Fehlverhalten um eine einmalige Ausnahme handelt. Sie bringen Verständnis auf und möchten für den Partner da sein, da sie häufig ein ausgeprägtes Helfersyndrom haben. Sie nehmen ihnen Probleme ab und verheimlichen und rechtfertigen das Verhalten des Betroffenen vor Außenstehenden. Sie ebnen somit den Weg, der Persönlichkeitsstörung ungehindert nachzugehen.
Geschieht das Fehlverhalten häufiger oder bestimmt gar den Alltag, bilden Partner oft einen ausgleichenden Gegenpol, um das Fehlverhalten nach außen hin zu verbergen. Der Partner stellt seine Bedürfnisse hinten an, um die des Betroffenen zu erfüllen. Damit sind Beziehungsstörungen vorprogrammiert. Er vermeidet häufig Konflikte, um die Beziehung nicht zu gefährden. Dabei überschreiten sie oft ihre eigenen Grenzen, um zu helfen und falschen Frieden herzustellen. In vielen Fällen handelt es sich dabei um toxische Beziehungen, die oft von Gewalt und Missbrauch geprägt sind, sowohl psychisch als auch physisch. Hinzu kommen Depressionen, Wut, Scham- und Schuldgefühle, auch Existenzängste. Die Folgen für den Partner sind Schlafstörungen, Magen- und Herzbeschwerden, Angstzustände, Panikattacken, Depressionen bis hin zum Burnout.
Ohne steigenden Leidensdruck sieht der Erkrankte allerdings keinen Grund, etwas dagegen zu tun. Die Persönlichkeitsstörung kann sich ungebremst verschlimmern. Am Ende sind die Partner oft wütend oder resignieren. Im günstigsten Fall reden sie mit ihrer Familie oder engen Freunden, wobei auch der Wunsch nach Trennung aufkommt.
Die Belastungen und das Engagement der Partner eines an einer Persönlichkeitsstörung Erkrankten sollten niemals verurteilt werden, denn sie leisten Enormes. Sie benötigen Verständnis und Unterstützung, anstatt verunsichert oder verurteilt zu werden. Oft ziehen sich Freunde und Familie zurück, im schlimmsten Fall wird ihnen die Schuld am Verhalten eines Betroffenen gegeben. Das ist äußerst fatal.
Doch wie kann der Partner eines Betroffenen aus diesem Kreislauf ausbrechen? Der erste, schwierigste Schritt ist, sich der ungesunden Beziehungsdynamik bewusst zu werden. Unterstützung können Selbsthilfegruppen leisten, um wieder das richtige Gleichgewicht zwischen Fürsorge und Selbstfürsorge zu finden. Das kann jedoch in einigen Fällen zu einer äußerst gefährlichen Gradwanderung werden.
Ist der Partner eines Betroffenen mittlerweile ebenfalls erkrankt, hilft nur noch eine gezielte Psychotherapie, um eigene Verhaltensmuster zu erkennen und zu verändern. Therapien bieten einen geschützten Raum. Hier kann man über die eigenen Erfahrungen sprechen, um neue Wege im Umgang in der Beziehung zu lernen oder sich selbst weiterzuentwickeln, notfalls auch zu trennen.
In Beziehungen, in der häusliche Gewalt dominiert, hilft meist nur die Trennung vom gewalttätigen Partner. Solche Trennungen sind sehr schwierig, aber möglich. Dabei sollte man immer Hilfe in Anspruch nehmen, um sich nicht selbst oder gemeinsame Kinder in Gefahr zu bringen.
Im Jahre 2024 wurden in Deutschland 265.942 Menschen als Opfer von häuslicher Gewalt polizeilich registriert. In diesem Bereich sind fast 80 % der Betroffenen Frauen. In drei von vier Fällen sind Männer die Täter. Statistiken weisen darauf hin, dass die tatsächliche Zahl dreimal so hoch ist, da viele Vorfälle aus Angst, Scham oder anderen Gründen nicht zur Anzeige gebracht werden. Das bedeutet, dass in Deutschland im Durchschnitt alle zwei Minuten ein Mensch Gewalt im sozialen Nahraum erlebt (Quelle u.a. Frauenhauskoordinierung e.V.). Laut Bundesfamilienministerium hat jede vierte Frau in ihrem Leben schon einmal Gewalt durch einen Partner erlebt.
Häusliche Gewalt ist die offizielle Bezeichnung für Gewalt, die zu Hause oder in einer Gemeinschaft passiert. Vor allem Frauen sind davon betroffen. Sie werden von ihren Partnern geschlagen, angebrüllt und gedemütigt. „In längeren Beziehungen besteht meist eine emotionale Abhängigkeit. Diese Frauen trennen sich nicht so schnell. Sie fühlen Schuld, Scham und Angst, sie fürchten, danach keinen neuen Partner zu finden oder dass die Trennung den Partner zu neuer Gewalt provozieren könnte. Auch finanzielle Abhängigkeit spielt eine Rolle“, sagt die Sozialarbeiterin Ev von Schönhueb vom Berliner Frauenraum.
Hat man sich dennoch endgültig zu einer Trennung entschlossen, sollte man einige Dinge dringend beachten:
Hilfe in Anspruch nehmen
Zuerst sollte man sich sicher sein, diesen Schritt konsequent durchzuziehen. Dafür bedarf es professioneller Beratung, rechtlich wie psychosozial. Das geht per Telefon, z.B. rund um die Uhr über das Hilfetelefon des Bundes unter der Nummer 116 016. Inzwischen bieten auch einige Gemeinden professionelle Frauenberatung an. Hier kann man sich ebenfalls erkundigen.
Nicht nur Betroffene von häuslicher Gewalt, sondern auch Angehörige, Freunde oder Kollegen können sich beim bundesweiten Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ unter der kostenfreien Rufnummer 116 016 rund um die Uhr beraten lassen – anonym und sicher auf 18 Sprachen.
Eine Trennung erhöht das Risiko von Gewalt. Daher ist besonders wichtig, die Trennung konsequent durchzuziehen. Das heißt: Profile auf Sozialen Medien löschen, neue Adresse, Handynummer, E-Mail-Adressen geheim halten und Kontakte zu Menschen abbrechen, über die der gewalttätige Partner Auskünfte erhalten könnte. Das ist ein harter Weg, aber oft der einzige, der der Gewalt ein Ende setzt.
Für manche Frauen ist es schwierig, unbemerkt einen Beratungstermin wahrzunehmen. Deshalb sollten sich Frauen eine neue E-Mail-Adresse zulegen. Auch hier bietet das Hilfetelefon des Bundes unkompliziert Hilfe an.
Beweise sichern
Häusliche Gewalt ist vielseitig: Sie umfasst finanzielle Kontrolle, körperliche Verletzungen, sexuelle Gewalt, auch Drohungen und Erniedrigungen. Ein blaues Auge oder blaue Flecken kann man fotografieren, aber gebrochene Rippen und innere Verletzungen sollten dokumentiert werden. Deshalb ist es ratsam, z.B. in Gewaltambulanzen vorstellig zu werden. Hier können die Verletzungen kostenlos rechtsmedizinisch untersucht und dokumentiert werden – auch ohne Anzeige bei der Polizei. Sie werden auch dort weiter beraten.
Alles aufschreiben, Nachrichten weiterleiten
Häufiger als Schläge sind Erniedrigungen, Manipulationen, Drohungen. Nach einer repräsentativen Befragung aus dem Jahr 2023 hat mehr als die Hälfte der Frauen schon einmal psychische Gewalt durch ihren Partner erfahren. „Die betroffenen Personen bezweifeln oft im Nachhinein, dass alles so schlimm war und haben danach selbst das Gefühl, sie übertreiben“, sagt eine psychosoziale Beraterin der BIG-Hotline (https://www.big-hotline.de/). Um sich selbst sicher zu sein, sollten Sie alles Gesagte aufschreiben und auch, welche Emotionen das in Ihnen ausgelöst hat. Ebenfalls, wie die gewalttätige Person aufgetreten ist. Zusätzlich sollten alle Nachrichten oder Mails, die Drohungen enthalten, gespeichert und an eine Freundin geschickt werden.
Neues Konto einrichten
Bei geplanter Trennung sollte man rasch ein eigenes Konto einrichten. Möglichst vor der Trennung, spätestens kurz danach, denn wenn man finanziell von dem Partner abhängig ist und kein eigenes Einkommen hat, wird ein Konto benötigt, um später staatliche Unterstützung zu erhalten.
Den Partner auf Distanz halten
Wird ein Partner gewalttätig, kann er zum Gehen gezwungen werden. Ein Polizeieinsatz löst die Gewaltsituation auf. Im günstigsten Fall wird die gewalttätige Person weggewiesen. Unter polizeilicher Aufsicht darf sie einige Sachen packen, muss den Wohnungsschlüssel abgeben und die Wohnung verlassen. Opfer könnten dann bis zu 14 Tage in ihrer Wohnung bleiben, ohne dass die weggewiesene Person diese wieder betreten darf.
Notfalltasche packen
Wenn man die gemeinsame Wohnung verlässt, kehrt man vielleicht nie wieder zurück. Deshalb ist es wichtig, vorher einige Dinge einzupacken: Das sind z.B. Kleidung und Dinge, an denen man hängt. Wichtig sind Personalausweis oder Reisepass, Führerschein, Heiratsurkunde, Geburtsurkunde (auch der Kinder), evtl. Aufenthaltsgenehmigung, Bescheinigungen über Sozialhilfe, Steuerdokumente, evtl. auch den aktuellen Mietvertrag, Versicherungen etc.
Die meisten Frauen verlassen die Wohnung in dem Moment spontan, wenn der Partner gerade gewalttätig geworden ist. Deswegen ist es ratsam, eine Notfalltasche bei einer Vertrauensperson zu hinterlegen, worin man auch Kopien der Dokumente stecken kann. Das gilt auch für einen zweiten Wohnungsschlüssel. Hilfe über Freunde ist im Notfall schneller zu erhalten, als nachts einen Platz in einem Frauenhaus zu bekommen. Hier gibt es z.B. eine Check-Liste, die sehr hilfreich ist:
https://www.gewaltschutz.info/mobil/download/de/sicherheitsplan.pdf
Wie können Freunde, Familie, Nachbarn, Kollegen, Vorgesetzte Anzeichen für häusliche Gewalt erkennen?
Häusliche Gewalt ereignet sich meist hinter verschlossenen Türen. Dennoch gibt es Anzeichen, dass jemand betroffen sein könnte. Folgendes können Warnsignale sein:
Bitte nicht wegschauen
Im Jahre 2023 wurden 938 Mädchen und Frauen Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten. Davon wurden 360 Mädchen und Frauen getötet. (Quelle: BKA Lagebericht Geschäftsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023) Davon wurden wiederum 155 Frauen durch Partner oder Ex-Partner getötet, was einem Durchschnitt von fast jedem zweiten Tag entspricht, alle drei Minuten sind Frauen Opfer von häuslicher Gewalt. (Bundeslagebild Häusliche Gewalt BKA). In allen Bereichen sind die aktuellen Zahlen im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Besonders erschreckend ist: Fast täglich wird in Deutschland eine Frau getötet.
Hilfe anbieten
Ich erlebte es selbst, dass sich vermeintliche Freunde zurückzogen mit Begründungen wie „Da mische ich mich nicht ein“, „Da müssen die beiden miteinander klarkommen“, „Das geht mich nichts an“ usw., oder sie ergreifen sogar Partei: „Ja und? Ist sie doch selbst schuld“ und ziehen sich zurück. Ich habe auch schon gehört: „Zeige es ihr mal ordentlich, damit sie lernt, wo es lang geht.“
Gewalt gegen Frauen darf nicht als Beziehungstragödie oder Eifersuchtsdrama verharmlost werden, sondern ist ein gesellschaftliches Problem, das anerkannt werden muss. Deshalb:
Ich machte mir in den ganzen Jahren viele Gedanken über die heutige Rolle der Frau in der Gesellschaft, der Soziologie sowie der Politik. Diese Rolle ist vielfältig und beinhaltet eine große Bandbreite an Rollen, die Frauen täglich erfüllen. Deshalb ist es umso unverständlicher, dass häusliche Gewalt heutzutage eine so große Rolle spielt und die Zahlen von häuslicher Gewalt in die Höhe schießen, besonders die Tatsache, dass fast jeden zweiten Tag ein Mann seine (Ex-) Partnerin tötet oder alle drei Minuten Frauen und Mädchen Opfer von häuslicher Gewalt werden. Hier ist besonders die Politik gefragt. Aber das wird wohl schwierig, da die meisten Posten von Männern besetzt sind und wer sägt schon gerne am eigenen Ast, wenn er damit seine Bequemlichkeit, die die Opferbereitschaft der Frau ihm bietet, und sein Patriarchentum aufgeben muss. Trotz dem vielen Gerede über Gleichstellung, ist die Gleichberechtigung der Frau noch lange nicht erreicht. Da hapert es an vielen Ecken und Kanten.
Ich habe inzwischen nach dreißig Jahren mein eigenes Schicksal verarbeitet und festgestellt, dass ich nur eine von vielen Hunderttausenden pro Jahr allein in Deutschland war. Das beruhigt mich ganz und gar nicht, sondern ich empfinde es als umso schlimmer. Vor allem, weil die psychischen und zum Teil auch physischen Nachfolgeschäden bei Betroffenen kaum erwähnt werden. Und die sind gravierend.
So schrieb ich diesen Roman mit dem Wunsch, dass er vielen Opfern Hoffnung macht, Kraft schenkt und aufzeigt, dass nach einem endlosen Tief auch wieder ein Hoch kommen kann.
Ihre
Monique Lhoir